Traube
sei Erntedank!

Jetzt hätte ich bald auf die vierte Ernte im Bunde vergessen – die Ernte der Trauben für den Aceto Balsamico. Rund um Modena wird dieser Tage reichlich Trebbiano von den Reben geschnitten, womit für die Produktion des beliebten Salat- und Saucenveredlers der Startschuss gegeben werden kann.

04.10.2021

Wer diese Startlinie überschreitet, wird in den meisten Fällen keinen Sprint, vielmehr einen Marathon absolvieren, spricht man in Sachen Reifezeiten der Edelvarianten des Aceto Balsamico schnell einmal von 20, 30 oder gar 50 Jahren! Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, entwickelte man Produkte mit kürzerer Reifezeit, die u.a. als Condimento oder auch Crema all`Aceto in unseren Küchen und Rezeptideen Einzug gehalten haben.

Doch zurück zum Start, oder vielmehr in den Weinberg. Wer einen Aceto Balsamico herstellen will, muss an erster Stelle an die Wahl der richtigen Weintrauben denken. Die traditionelle Herstellung verlangt süße, weiße Trauben der Rebsorte Trebbiano. Daher ist eine späte Lese, die vollmundiges Aroma in den Trauben bringt, von großer Bedeutung. Hervorragende Lagen finden sich rund um Modena und im südlich angrenzenden Hügelland.

Dort tummeln sich weitere Schätze der Emilia in verschiedenen Geschwindigkeiten. Sieht man sich schnell bewegende kleine rote Punkte auf den Straßen der Landschaft, so handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Ferrari, den man hier – sollte man nicht zum Kauf gewillt sein – stundenweise mieten kann. An Wochenenden entsteht aufgrund dieser Ausflugvariante rund um Maranello eine ganz besondere Geräuschkulisse.

Für einen noch edleren „Sound“ sorgte der viel zu früh verstorbene, ebenso von hier stammende Jahrhunderttenor Luciano Pavarotti. Ein Besuch in seinem, zum Museum umgestalteten Wohnhaus zahlt sich auf jeden Fall aus. Er liebte übrigens die 1-PS-Variante, war begeisterter Pferdenarr mit eigenem Gestüt und Rennbahn.

Mit ihm kratze ich die Kurve zurück zum Aceto Balsamico di Modena, zumal der Tenor immer ein Fläschchen feinsten Balsamico bei sich hatte, täglich seinen Hals damit „desinfizierte“.

Ein Löfferl am Morgen (vor dem Frühstück!) vertreibt halswehtechnischen Kummer und Sorgen während der kühlen Jahreszeit. Ob es bereits erste Analysen im Gebrauch gegen andere lästige Viren unserer Zeit gibt entzieht sich meines Wissens, möglich wäre es aber. Der Weg in die Flasche ist ein langer, geprägt von der Alchimie der Zeit und der erfahrenen Hand des Menschen. Das fängt schon beim langsamen und langen Einkochen des Mosts an. In diesem Stadium gilt es den Grad der Eindickung im Auge zu behalten, der je nach Jahrgang, Zuckergehalt oder der Politik der Acetaia (Essigkellerei) abhängt.

Wird in einer typisch modenesischen Acetaia produziert, so geht es mit dem Most ab ins erste von fünf nach Holzart verschiedenen Fässern. Wie die Zeit, so hat auch jedes Holz seine Aufgabe im Reifeprozess. Der Faktor Mensch bleibt groß, da optimaler Zeitpunkt und passende Entnahmemenge bei der Weiterreichung in die jeweils nächste Stufe gefunden werden müssen. Ein Handwerk voller Tradition. Ein kulinarisches Kulturgut mit höchstem Genussfaktor.

Zudem ein echtes Naturprodukt, bei dem der gekochte Traubenmost durch die natürliche ablaufende Essigsäuregärung altert, durch die verschiedenen Holzarten immer konzentrierter wird, wodurch kein Zusatz von Aromastoffen notwendig ist. Die Folge ist ein angenehm, harmonisch säuerliches Aroma, das für die Zubereitung und Verfeinerung vieler Speisen eingesetzt werden kann. Einen Aceto Balsamico nur für den Salat zu benützen wäre wie mit einem Ferrari im Ortsgebiet zu fahren oder Luciano Pavarotti Kinderlieder singen zu lassen oder ...

In diesem und mit allen fünf Sinnen – Mahlzeit!

Quellenverweise: 
Text & Fotos : Martin Martschnig / italissimo.at
 

 

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